Darum sind Reformen schwierig
Katharina Fontana, Juristin und Journalistin, ist bekannt für ihre sachliche und analytische Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Themen. Ein Gespräch über Pensionierung, Umverteilung und Eigenverantwortung.

Frau Fontana, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen. Warum haben es Reformen der Altersvorsorge so schwer?
Bei wichtigen Reformen haben die Stimmberechtigten das letzte Wort. Sie sind sich zwar bewusst, dass es Anpassungen braucht, um die Altersvorsorge nachhaltig zu sichern. Doch zwischen den Gesellschaftsgruppen gehen die Interessen weit auseinander. Oft ist keine Massnahme populär. Und weil selbst kleine Änderungen auf starken Widerstand stossen, bleiben grosse Reformen blockiert. Hinzu kommt ein politischer Grundkonflikt: Die einen wollen mehr Umverteilung in der Altersvorsorge, die anderen mehr Eigenverantwortung.
Wie definieren Sie Umverteilung und Eigenverantwortung?
In der AHV, der ersten Säule, ist die Umverteilung am grössten. Die Jüngeren finanzieren mit ihren Lohnbeiträgen direkt die Renten der Pensionierten, und Gutverdiener zahlen viel mehr ein, ohne dafür mehr Rente zu bekommen. Zudem erhält die AHV Geld aus der Bundeskasse und wird zusätzlich über Steuern finanziert. Sie ist damit ausgesprochen solidarisch. Die meisten Pensionierten bekommen mehr von der AHV, als sie eingezahlt haben. In der Pensionskasse, der zweiten Säule, spart man dagegen für sich selbst – man besitzt eigene Vorsorge- Ersparnisse. Im Unterschied zur AHV gibt es im Prinzip keine Umverteilung und keine Subventionen. An diesem System sollte man nicht rütteln. Die Solidarität wird überstrapaziert, wenn man die zweite Säule schwächen und dafür die AHV weiter ausbauen würde, wie es zum Teil gefordert wird.
Was wären die Folgen?
Wird die Umverteilung zu gross, kann sich das gesellschaftlich schädlich auswirken. Viele wären wohl nicht mehr bereit, dieselbe Leistung im Beruf und im Leben zu erbringen. Sie würden sich zu Recht fragen: Warum soll ich mich anstrengen, Verantwortung übernehmen und eine höhere Steuerlast tragen, wenn das nicht belohnt wird?
Haben Sie eine Antwort?
Zunächst muss der Bundesrat Antworten liefern. Er will 2026 eine grosse AHV-Reform vorlegen und aufzeigen, wie die Vorsorge für das nächste Jahrzehnt gesichert werden kann. Ich hoffe, dass die Debatte nicht von parteipolitisch geschürter Empörung, sondern von Zahlen und Fakten geprägt wird.
Wie sehen die Fakten aus?
Weil wir länger leben, müssen die Renten immer länger ausbezahlt werden. Und wegen der tieferen Anlagerenditen wachsen die Vorsorge-Ersparnisse langsamer als erwartet. Will man die Altersvorsorge in die Zukunft retten, braucht es strukturelle Reformen.
Welche Lösungen sehen Sie?
Ein Patentrezept gibt es nicht. Aber wir kommen nicht darum herum, über ein Pensionierungsalter zu sprechen, das sich an der Lebenserwartung orientiert. Europäische Länder wie Finnland oder Schweden machen es vor. Auch in der Schweiz wird man in diese Richtung denken müssen.
Zur PersonKatharina Fontana wurde in Basel geboren, wo sie Rechtswissenschaften studierte. Nach ihrer Dissertation war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesamt für Justiz tätig. Danach wechselte sie als Journalistin zur NZZ und war lange Zeit Korrespondentin am Bundesgericht und im Bundeshaus. Für ihre Recherchen und Analysen wurde Katharina Fontana mehrfach ausgezeichnet. |