EU/US-Zolldeal: Einigung mit Haken – und vielen offenen Fragen

VZ Analyse

Die USA erhöhen ihre Zölle auf zentrale europäische Exportgüter wie Autos, Halbleiter und Pharmaprodukte – im Gegenzug macht die EU weitreichende Zugeständnisse, von Investitionszusagen bis zu Rüstungsimporten. Warum Brüssel diesen Deal akzeptiert hat und was das mit China und geopolitischem Kalkül zu tun hat.

28. Juli 2025

Beschreibung

Autor: Andreas Paciorek / VZ VermögensZentrum 

Die EU und die USA haben sich auf ein neues Handelsabkommen geeinigt – und damit in letzter Minute einen Handelskrieg abgewendet. Der Preis: 15 Prozent US-Zölle auf zentrale europäische Exportgüter wie Autos, Halbleiter und Pharmaprodukte. Im Gegenzug verspricht Brüssel Investitionen in den USA, grössere Energieimporte und weitreichende Marktöffnungen. Ein Kompromiss – doch einer, bei dem Europa vorerst die Zähne zusammenbeisst. Die Details sollen am 1. August offiziell gemacht werden: Dann wollen EU und USA eine gemeinsame Erklärung vorlegen. Noch am selben Tag wird erwartet, dass US-Präsident Trump die 15-Prozent-Zölle per Dekret in Kraft setzt. 

Was man weiss – und was nicht 

Im Zentrum des Deals stehen US-Zölle von 15 Prozent auf zahlreiche EU-Waren. Einige strategische Sektoren bleiben ausgenommen. Genannt werden etwa Zivilflugzeuge, Holz sowie Spirituosen (mit Ausnahme von Wein). Auf Stahl und Aluminium hingegen bleiben die bereits geltenden Strafzölle von 50 Prozent bestehen. Das erinnert stark an das jüngste US-Handelsabkommen mit Japan. 

Die EU verpflichtet sich im Gegenzug, jährlich Flüssiggas im Wert von 250 Milliarden Dollar aus den USA zu importieren – insgesamt sollen Zusagen über 750 Milliarden bestehen – sowie rund 600 Milliarden Dollar in den USA zu investieren. Auch grössere Bestellungen von US-Militärgerät sind Teil des Pakets. Das zeigt, worauf die US-Regierung besonders achtet: heimische Investitionen. Ein Aspekt, der wohl auch bei den laufenden Verhandlungen mit der Schweiz eine zentrale Rolle spielen dürfte – insbesondere mit Blick auf exportstarke Schweizer Branchen wie Pharma und Luxusgüter. 

Zudem will die EU ausgewählte US-Güter – etwa Flugzeuge, Spirituosen und Medizinprodukte – stärker zulassen. Insgesamt handelt es sich um einen Kompromiss, der zwar eine weitere Eskalation im transatlantischen Zollstreit verhindert, aber mit erheblichen wirtschaftlichen Zugeständnissen einhergeht. 

Viele Details bleiben allerdings offen: Welche Produkte konkret betroffen sind, wie lange die Zölle gelten sollen, ob es Übergangsfristen oder Zollkontingente gibt – all das ist bislang unklar. Auch ein schriftlicher Vertrag wurde noch nicht veröffentlicht. Für europäische Industrievertreter steht fest: Die neuen Zölle verschlechtern die Handelsbedingungen – je nach Margenstruktur, US-Abhängigkeit und Preissetzungsmacht sind die Auswirkungen für Exporteure unterschiedlich. 

Börsen atmen auf – mit Einschränkungen 

Die Aktienmärkte reagierten zunächst erleichtert. Der europäische Stoxx 600 stieg auf den höchsten Stand seit vier Monaten. Besonders Technologiewerte und Halbleiterhersteller profitierten. Sie wurden von der Hoffnung auf stabilere Lieferketten und den positiven Impulsen auch aus dem US-Japan-Abkommen getragen, das die globale Chip-Infrastruktur stärkt. 

Auch europäische Autobauer legten zu, wenn auch verhalten. Denn der Grossteil der Kursgewinne hatte sich bereits in der Vorwoche eingestellt, als Details des Japan-Deals bekannt wurden. Viele Investoren hatten auf ein vergleichbares Modell für die EU spekuliert – und lagen richtig. (Hier geht es zum Artikel: Aufatmen für japanische Autobauer nach Zolldeal). Dennoch bleibt ein 15-Prozent-Zoll eine Belastung, vor allem für volumenstarke Hersteller mit niedrigen Margen. Luxus- und Premiumanbieter wie Ferrari hingegen können dank hoher Preissetzungsmacht einen Teil der Zölle weitergeben – was die doppelt so hohe Kursentwicklung der Aktie gegenüber Volkswagen seit Trumps "Liberation Day" im April mit erklären dürfte. 

Betroffene Sektoren: Wer leidet, wer profitiert? 

Besonders betroffen sind exportstarke Branchen: die Automobilindustrie, der Maschinenbau, die Chemie- und Pharmabranche. Bei letzterer ist unklar, ob Generika genauso betroffen sind wie patentgeschützte Medikamente. Parallel plant die US-Gesundheitsbehörde eine Most-Favored-Nation-Regelung, nach der Pharmaunternehmen US-Kunden keine höheren Preise berechnen dürften als in anderen Ländern. Das ist ein zusätzlicher Druckfaktor. 

Die Halbleiterbranche zeigt sich hingegen robuster: Unterstützt durch strukturelle Nachfrage, staatliche Förderprogramme und ihre geostrategische Bedeutung in beiden Wirtschaftsräumen.

Im Vorteil sind Unternehmen mit Produktionsstätten in den USA: Wer lokal fertigt, umgeht die Importzölle. Das ist ein Standortvorteil, der nun zusätzlich an Gewicht gewinnt. Schweizer Unternehmen, die als Zulieferer in europäische Wertschöpfungsketten eingebunden sind, könnten hingegen indirekt unter den neuen Zöllen leiden – etwa bei Auftragsverlagerungen oder Projektstreichungen. 

Ein einseitiger Sieg – und ein geopolitisches Kalkül? 

Der Deal ist eindeutig asymmetrisch: Die USA erhöhen ihre Zölle deutlich – von zuvor durchschnittlich unter 5 Prozent auf nun 15 Prozent. Die EU hingegen verzichtet auf Gegenzölle und macht weitreichende Zugeständnisse. Ist das strategisches Entgegenkommen – oder ein taktisches Einknicken? Beides ist denkbar. Möglich, dass Europa vor allem eines wollte: Zeit. Zeit, um wirtschaftliche Unsicherheit zu reduzieren und sich geopolitisch neu aufzustellen. 

Die Einigung wirft auch die Frage auf, warum sich weder die EU noch Japan bislang abgestimmt gegen die US-Strategie gestellt haben. Eine mögliche Antwort: In vielen Branchen ist der Hauptkonkurrent nicht Amerika, sondern China. Und solange chinesische Anbieter mit deutlich höheren Zöllen belegt werden, bleibt Europa im relativen Vorteil. Selbst Länder wie Vietnam, die oft als Ausweichstandorte für chinesische Produktion dienen, unterliegen pauschalen US-Zöllen von 20 Prozent. Für Waren, bei denen vermutet wird, dass sie eigentlich aus China stammen und lediglich über Vietnam umgeleitet wurden („Transshipment“), gelten sogar Strafzölle von 40 Prozent. 

Auch das dürfte erklären, warum Europa den Deal akzeptiert: Lieber 15 als 40 Prozent. Doch dieses Kalkül greift nur kurzfristig. Mittel- bis langfristig dürfte Europa verstärkt auf Koordinierung mit anderen Partnern setzen – etwa mit Japan, Kanada oder im Rahmen der WTO. Der Ruf nach wirtschaftlicher Eigenständigkeit wird lauter. So sprach der deutsche Exportverband BGA von einem "schmerzhaften Kompromiss" und forderte, Europa müsse seine Abhängigkeit von den USA verringern und alternative Handelsabkommen gezielt vorantreiben. 

Und die Schweiz?

Die Schweiz ist vom Deal nicht direkt betroffen – aber indirekt involviert. Viele Schweizer Unternehmen sind eng in europäische Lieferketten eingebunden, besonders in der Industrie und den Life Sciences. Höhere US-Zölle auf EU-Endprodukte könnten die Nachfrage nach Schweizer Zulieferungen dämpfen.

Zudem steht ein separates Abkommen zwischen Bern und Washington weiter aus. Seit April gilt ein Basiszoll von 10 Prozent auf Schweizer Exporte in die USA – eine ursprünglich angedrohte Erhöhung auf 31 Prozent zum 1. August wurde ausgesetzt, doch eine finale Einigung fehlt. Die Zeit drängt. Ein Deal nach EU-Vorbild wäre denkbar, aber keineswegs sicher. 

Fazit: Nichts wird so heiss gegessen, wie es gekocht wird 

Die Märkte haben den Deal bereits im Vorfeld eingepreist. Entsprechend verhalten fiel die Reaktion auf die offizielle Verkündung aus. Klassisch: Buy the rumour, sell the news. 

Die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Zölle werden sich erst mit Verzögerung zeigen. Viele Fragen sind noch offen – von den endgültigen Zolllisten bis zur Frage, wie viel die Konsumenten in den USA mittragen. Klar ist aber: Es hätte schlimmer kommen können. Die Märkte atmen auf – und hoffen, dass der fragile Waffenstillstand im globalen Handel hält.