VZ Analyse

Was ein US-Werbeverbot für Big Pharma bedeuten könnte

MAHA, Medikamentenpreise und Medienmärkte: Die US-Regierung plant ein weitreichendes Werbeverbot für rezeptpflichtige Medikamente. Das Vorhaben könnte nicht nur die Pharmaindustrie, sondern auch Medienunternehmen vor neue Herausforderungen stellen.

27. Juni 2025

Autor: Andreas Paciorek / VZ VermögensZentrum 

Ein Verbot, das weit über das Fernsehen hinaus wirken könnte: Die USA erwägen, das Bewerben von verschreibungspflichtigen Medikamenten direkt an Konsumentinnen und Konsumenten künftig nicht mehr zu erlauben. Der Gesetzesentwurf ist Teil eines umfassenden Reformkurses der Trump-Regierung – und könnte die Gewinnströme grosser Pharma- und Medienkonzerne empfindlich treffen. 

In kaum einem anderen Land sind Fernsehspots für Medikamente so allgegenwärtig wie in den USA. Wer amerikanisches Kabelfernsehen schaut, kennt die typischen Bilder: Menschen, die fröhlich tanzen, wandern oder lachen, während ein Sprecher im Schnelltempo mögliche Nebenwirkungen aufzählt – von Hautausschlag bis Herzstillstand. Doch damit könnte bald Schluss sein. 

Ein neuer Gesetzesentwurf mit dem Namen End Prescription Drug Ads Now Act will sämtliche Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente verbieten – auf TV, Radio, Print, sozialen Medien und allen digitalen Plattformen. Der Vorstoss stammt von den Senatoren Bernie Sanders und Angus King und geniesst prominente Unterstützung durch Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., der die Initiative bereits im Präsidentschaftswahlkampf 2024 als Teil der sogenannten „Make America Healthy Again“-Bewegung (MAHA) angekündigt hatte. 

Worum geht es konkret? 

Das Gesetz zielt auf sogenannte Direct-to-Consumer Advertising (DTC) ab – also auf Werbung, die sich direkt an Patientinnen und Patienten richtet und nicht an medizinisches Fachpersonal. Weltweit ist das nur in den USA und Neuseeland erlaubt. Die Begründung: Solche Werbung fördere teure Markenarzneien, untergrabe medizinische Beratung und treibe die Gesundheitskosten weiter nach oben. Laut einer Studie der Harvard Medical School weisen über die Hälfte dieser Werbespots irreführende oder übertriebene Heilversprechen auf – oft ohne klaren Hinweis auf Risiken oder Alternativen. 

Die Dimension ist gewaltig: Mehr als 5 Milliarden Dollar investierte die US-Pharmaindustrie allein im Jahr 2024 in TV-Werbung. Spitzenreiter war AbbVie, das über 630 Millionen Dollar in die Bewerbung der Immunpräparate Skyrizi und Rinvoq steckte. Novo Nordisk folgte mit knapp 400 Millionen Dollar für Ozempic und Wegovy, zwei Medikamente zur Behandlung von Diabetes bzw. Adipositas. 

Wer verliert, wenn das Gesetz kommt? 

Sollte das Werbeverbot umgesetzt werden, drohen gleich zwei Industrien empfindliche Einschnitte: 

1. Pharmaunternehmen 

Die direkte Ansprache von Konsumenten ist für viele US-Konzerne ein zentrales Wachstumsinstrument. Medikamente wie Ozempic verdanken ihren Erfolg zu einem grossen Teil der massiven medialen Präsenz. Wird diese gekappt, könnten:

  • Absatzwachstum und Margen unter Druck geraten
  • Patienten weniger aktiv nach bestimmten Medikamenten fragen
  • der Druck auf Ärzte steigen, stärker auf günstigere Alternativen (z. B. Generika) zurückzugreifen

Zwar könnten Konzerne auf andere Kanäle ausweichen – etwa in Form von Aufklärungskampagnen, die auf Krankheiten aufmerksam machen, ohne Produkte zu nennen. Doch diese sind weniger effektiv – und regulatorisch schwieriger. 

2. Medienkonzerne 

In einem schwächelnden Werbemarkt ist Pharmawerbung eine der wenigen Wachstumsstützen. Laut Messdaten von iSpot entfielen 2024 über 13 Prozent der nationalen TV-Werbespendings auf verschreibungspflichtige Medikamente – bei den Abendnachrichten der grossen Sender teilweise sogar über 30 Prozent. 

Besonders betroffen wären Netzwerke wie ABC, NBC, CBS und FOX, die im Jahr 2024 zusammengenommen knapp 2,7 Milliarden Dollar aus diesem Werbemarkt schöpften. Vor dem Hintergrund schwindender Einschaltquoten, sinkender Abo-Zahlen und wachsender Konkurrenz durch Streamingdienste wäre ein Werbeverbot ein weiterer herber Schlag. 

Ein Puzzlestück der MAHA-Strategie 

Das Werbeverbot ist kein isoliertes Ereignis, sondern Teil eines grösseren gesundheitspolitischen Umbaus unter Trump und Kennedy. Unter dem Schlagwort „Make America Healthy Again“ (MAHA) will die US-Regierung die Kosten im Gesundheitswesen senken, den Lebensstil der Bevölkerung verändern – und die Marktmacht grosser Pharmakonzerne begrenzen. Diese Massnahmen zielen indirekt auch darauf ab, die US-Staatsausgaben einzudämmen. 

Weitere Stossrichtungen, die in Erwägung gezogen werden: 

  • Preisdeckel nach dem Most-Favored-Nation-Prinzip, das die US-Preise an europäische Vergleichswerte angleichen will . (Hier handelt es sich vermutlich um die typische Taktik der Trump-Administration: Maximalforderungen, um am Ende meiste zu einer moderaten Einigung zu gelangen. Das bedeutet, es dürfte wohl kaum soweit kommen).
  • Reform der Pharmacy Benefit Manager (PBMs), also der kommerziellen Zwischenhändler zwischen Pharma, Versicherern und Apotheken
  • Verschärfte Anforderungen für Medicaid/Medicare-Empfänger, inklusive Arbeitsnachweisen und Eigenbeiträgen
  • Verbot bestimmter Lebensmittelzusätze und Farbstoffe, wie sie in Europa längst nicht mehr erlaubt sind 

Einen ausführlicheren Artikel der VZ-Experten zu den geplanten Massnahmen finden Sie hier

Die Kombination dieser Massnahmen zeigt: Die US-Regierung setzt nicht nur auf Kostensenkung – sondern auf eine Neuausrichtung des gesamten Gesundheitssystems. 

Und was bedeutet das für europäische Anleger? 

Europäische Pharmakonzerne sind direkt betroffen – nicht nur wegen des möglichen Werbeverbots, sondern durch die gesamte Reformagenda: 

  • Novartis erzielt beispielsweise rund ein Drittel seines Konzernumsatzes in den USA, bei Roche und Novo Nordisk sieht es ähnlich aus.
  • Das Most-Favored-Nation-Prinzip könnte die bisherigen US-Margen unter Druck setzen – denn Medikamente kosten dort häufig drei- bis viermal so viel wie in Europa. Alternativ könnte es die Medikamentenpreise in Europa stark steigen lassen, um den massgebenden Vergleichspreis zu erhöhen.
  • Werbeeinschränkungen könnten die Vermarktung neuer Präparate erschweren und die Markenbindung schwächen. 

Den Medienunternehmen stellt sich neben der Konkurrenz durch Streaming- und Online-Dienste ein weiteres Fragezeichen zur Finanzierbarkeit linearer TV-Angebote. Wenn ein zentraler Werbetopf wegbricht, könnten weitere Kürzungen, Stellenabbau oder beschleunigte Konsolidierung die Folge sein. 

Juristische Hürden und politische Unsicherheit 

Noch ist das Werbeverbot nicht beschlossen. Zwar hat der Gesetzesentwurf prominente Unterstützer – aber die politischen Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress sind derzeit zu knapp, um eine rasche Verabschiedung zu garantieren. Die Pharma-Industrie hat eine starke Lobby im Kongress. Auch gerichtliche Auseinandersetzungen sind wahrscheinlich: Viele Executive Orders Trumps wurden in der Vergangenheit von Gerichten gekippt. Zudem greift das Werbeverbot in die kommerzielle Redefreiheit ein – ein heikles Terrain im US-Recht. Und nicht zuletzt ist auch die US-Öffentlichkeit gespalten: Während viele das Ende der „absurden Werbeflut“ begrüssen, sehen andere einen Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit – oder in das Geschäftsmodell der freien Medien. 

Fazit: Reformdruck mit Nebeneffekten 

Ob das Werbeverbot in der aktuellen Form kommt, ist offen. Doch bereits die Diskussion darüber zeigt: Die US-Gesundheitspolitik befindet sich in einer tektonischen Verschiebung. 

Für aktive Anleger heisst das: Wer in Pharma, Medien oder Konsumgüter investiert ist, sollte die Entwicklungen aufmerksam verfolgen – nicht nur wegen der Gesetzgebung, sondern wegen des sich wandelnden gesellschaftlichen Klimas. Die MAHA-Bewegung steht für einen neuen politischen Stil, der das Thema Gesundheit aus dem Fachbereich heraus in die Mitte des kulturellen und wirtschaftlichen Diskurses stellt. Und das dürfte auch an den Finanzmärkten nicht folgenlos bleiben.