VZ-Analyse

"MAHA": Pharma- und Lebensmittelindustrie im Fokus der neuen US-Regierung

Die US-Regierung plant tiefgreifende Reformen im Gesundheitssystem – mit direkten Folgen für europäische Pharmariesen wie Roche, Novartis und Novo Nordisk. Wer im wichtigsten Absatzmarkt der Branche mitspielt, muss sich jetzt auf Gegenwind einstellen.

22. Mai 2025

Autoren: Andreas Paciorek und Jonas Wieckert / VZ VermögensZentrum 

Donald Trump und sein Gesundheitsminister Robert Kennedy haben angekündigt, das amerikanische Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren. Die geplanten Reformen haben direkte Auswirkungen auf Europas Pharmaindustrie, denn die USA sind der grösste Pharmamarkt der Welt. Zur Veranschaulichung: Novartis erzielte 2024 circa 21 Milliarden Dollar Umsatz in den USA gegenüber 15,6 Milliarden in Europa. Höchste Zeit also, sich mit den Plänen der neuen US-Regierung auseinanderzusetzen. 

Seit Donald Trumps seinem Amtsantritt Anfang des Jahres scheint kaum ein Stein auf dem anderen zu bleiben. Ein Bereich und eine Person, die bisher weniger im Rampenlicht standen, aber nun zunehmend an Bedeutung gewinnen werden, sind das US-Gesundheitswesen und dessen neuer Minister, Robert F. Kennedy Jr. – ein Mann, der aufgrund seiner ungewöhnlichen Ansichten über Impfungen, Medizin und Umwelt lange Zeit umstritten war. Kennedy leitet eine Behörde mit einem Budget von 1,7 Billionen Dollar - fast ein Drittel des gesamten US-Bundeshaushalts. Damit überwacht er auch Lebensmittel- und Tabakprodukte, Impfstoffe und andere Medikamente, wissenschaftliche Forschung, die Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitswesens und staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung. Dies macht das Department of Health and Human Services (HHS) zum mit Abstand grössten Ausgabenposten der US-Regierung. Daneben ist der Gesundheitssektor von enormer Bedeutung für die US- Wirtschaft und nimmt mit Ausgaben von annähernd 5 Billionen US-Dollar - davon insgesamt etwa 2 Billionen Dollar der staatlichen Krankenversicherer von Medicare und Medicaid, sowie 1,5 Billionen Dollar der privaten Krankenkassen - rund 18 Prozent des Bruttoinlandproduktes der USA ein, mehr als jeder andere Wirtschaftsbereich.  

Welche Massnahmen sind geplant? 

Die neue Trump-Administration hat binnen weniger Wochen eine grundlegende Neuausrichtung der US-Gesundheitspolitik eingeleitet. Ziel ist ein schlankerer Staatsapparat, veränderte Prioritäten und eine Senkung der Gesundheitskosten. Die wichtigsten Massnahmen im Überblick: 

Exekutiverlass zur Senkung der Medikamentenpreise: Am 12. April erliess Präsident Trump einen umfassenden Executive Order zur Senkung der Arzneimittelpreise. Der Plan verpflichtet Pharmaunternehmen, innerhalb von 30 Tagen Preisziele vorzulegen und Verhandlungen aufzunehmen. Ziel ist es, die Preise in den USA «an das Niveau vergleichbarer Länder» anzugleichen. Laut Weissem Haus erwirtschaften die USA mit nur 5 % der Weltbevölkerung rund 75 % der globalen Pharmagewinne. Tatsächlich werden Marken-Medikamente in den USA im Schnitt drei bis vier Mal so teuer verkauft, wie in Europa. Künftig soll daher das Most-Favored-Nation-Prinzip gelten: Pharmaunternehmen dürfen US-Kunden keine höheren Preise berechnen als in anderen Ländern – durch Gesetz oder Verordnung. Aber bereits unter Biden wurde im Rahmen des Inflation Reduction Act von 2022 bedeutende Reformen zur Senkung der Medikamentenpreise eingeleitet, wodurch ab 2026 Medicare erstmals die Preise für ausgewählte, teure Medikamente verhandeln dürfen. Die bereits gesetzlich verankerten Preisreduktionen könnten zu Einsparungen von 6 Milliarden Dollar führen, von denen Donald Trumps Regierung profitieren wird. Zusätzliche Schritte umfassen Pilotprojekte für value-based pricing, beschleunigte Zulassungen von Generika und Biosimilars sowie gelockerte Importregeln. Das Ziel, die Preise zu drücken dürfte auch der Grund sein, warum Pharmaprodukte von Trumps Importzöllen bisher ausgenommen wurden. 

Reform der Zwischenhändler (PBM): Um den Wettbewerb zu fördern, soll die Rolle der Zwischenhändler – der Pharmacy Benefit Manager (PBM) – überprüft werden. Diese privatwirtschaftlichen Intermediäre verhandeln im Gegensatz zu Europa nicht staatlich, sondern kommerziell zwischen Pharmaunternehmen, Versicherern und Apotheken. Die Regierung wirft PBMs Intransparenz und Preistreiberei vor. Laut Eli Lilly fliessen über 60 Prozent des Medikamentenpreises an Zwischenhändler. Künftig sollen Hersteller direkt liefern dürfen – ohne PBM-Rabattstrukturen. Auch die Tatsache, dass die drei größten Pharmacy Benefit Manager (PBMs) – CVS Caremark, Express Scripts und OptumRx – 80 Prozent des US-Marktes für verschreibungspflichtige Medikamente kontrollieren und zu den grössten börsennotierten Versicherungskonzernen gehören (CVS Health, The Cigna Group bzw. UnitedHealth Group), dürfte von der neuen US-Regierung kritisch betrachtet werden. 

Einsparungen bei Medicare und Medicaid: Die US-Regierung will die staatlichen Gesundheitsprogramme für Senioren (Medicare) und einkommensschwache Menschen (Medicaid) deutlich umbauen, um Geld zu sparen. Vorgesehen sind strengere Regeln: Wer Hilfe möchte, soll regelmässig nachweisen, dass er arbeitet oder Arbeit sucht, und seine Anspruchsberechtigung alle sechs Monate neu bestätigen. Gleichzeitig sollen Betroffene mehr selbst zahlen – etwa für Arztbesuche oder Medikamente. Auch der Zuschuss des Bundes an die Bundesstaaten soll gekürzt werden. Besonders für ärmere Regionen kann das bedeuten, dass weniger Menschen versichert sind und Millionen ihren Versicherungsschutz verlieren könnten. Ziel ist es, über zehn Jahre rund 715 Milliarden Dollar an Ausgaben zu senken.

Prävention und Ernährung: Kennedy betont die Krankheitsprävention. Schwerpunkte: schlechte Ernährung, Umweltgifte und Bewegungsmangel. Eine per Dekret eingesetzte Präsidialkommission «Make America Healthy Again» soll Ursachen chronischer Krankheiten erforschen – insbesondere bei Kindern. Laut Weissem Haus leidet bereits heute jeder sechste Erwachsene in den USA an mindestens einer chronischen Krankheit, 90 Prozent der Gesundheitsausgaben fliessen in deren Behandlung. Eine erste umgesetzte Massnahme: das Verbot einiger erdölbasierter Lebensmittelfarben per Ende 2026 – wie sie in Europa längst untersagt sind. 

Umstrukturierung des Gesundheitsministeriums (HHS): Durch ein Executive Order wurde eine umfassende Reorganisation des Department of Health and Human Services angestossen. Die Zahl der Mitarbeitenden soll von rund 82’000 auf 62’000 sinken – ein Abbau um 15 bis 20 Prozent. Parallel dazu werden 28 Abteilungen und Behörden auf 15 Einheiten verschmolzen. Offiziell wird dies mit Effizienzgewinnen, Einsparungen von 1,8 Milliarden Dollar pro Jahr und einem Fokus auf chronische Krankheiten durch «sicheres Essen, sauberes Wasser und weniger Umweltgifte» begründet. Kritiker warnen jedoch vor dem Verlust wertvoller Expertise – etwa bei Arzneimittelsicherheit oder Impfstoffentwicklung. Parallel zur Strukturreform sollen Mittel drastisch gekürzt werden. 

Wer ist betroffen – und wie? 

Aus Anlegersicht ist es wichtig, zu erkennen, welche Sektoren am stärksten betroffen sein könnten. 

Pharmaindustrie: Konzerne wie Roche, Novartis, Pfizer oder Novo Nordisk stehen vor Chancen und Risiken. Die Preisbindung in Medicare wirkt positiv, doch das MFN-Prinzip gefährdet hohe US-Margen. Verzögerungen bei der FDA-Zulassung könnten zudem Entwicklungsprojekte verzögern. 

Generika- und Biosimilar-Anbieter: Zulassungsverfahren sollen beschleunigt, Importe erleichtert werden. Das öffnet Märkte, bringt aber Risiken bei regulatorischer Überlastung. 

Versicherer und Gesundheitsdienstleister: Private Versicherer könnten durch tiefere Preise profitieren. Doch Leistungskürzungen bei der öffentlichen Gesundheitsversorgung erhöhen den Behandlungsdruck. Spitäler rechnen mit mehr Notfällen, ambulante Dienste mit tieferen Tarifen. 

Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie: Kennedy will mehr Transparenz bei Zusatzstoffen. Die FDA prüft neue Kennzeichnungspflichten, insbesondere für Farbstoffe, Süssstoffe und Aromen. Auch das staatliche Ernährungsprogramm soll künftig nur noch gesunde Produkte unterstützen – zum Nachteil der Convenience-Industrie, aber mit Chancen für Bio- und Vollwertanbieter. 

Umsetzung mit Hindernissen 

Die Umsetzung der Reformpläne steht vor erheblichen Hürden – praktischer, politischer, juristischer und gesellschaftlicher Natur. 

Ganz praktisch könnten Pharma-Unternehmen, statt die Preise in den USA zu senken, versuchen diese im Ausland anzuheben. Ganz einfach aufgrund der Tatsache, dass für viele Hersteller die USA der wichtigste Markt sind. In der öffentlichen Diskussion wird zudem ausgeblendet, dass in Punkto Volumen Generika in den USA 90 Prozent der Verschreibungen ausmachen und ein Drittel weniger kosten als in anderen wohlhabenden Ländern. 

Politisch betrachtet erfordern viele Massnahmen, darunter etwa das sogenannte Most-Favored-Nation-Prinzip zur Preisregulierung, die Zustimmung des US-Kongresses. Angesichts der tiefen Spaltung zwischen Demokraten und Republikanern ist eine Einigung alles andere als sicher. Was hier sicher auch nicht ausser Acht gelassen werden kann, ist die Tatsache, dass die grösste Gruppe der registrierten Lobbyisten in den USA aus dem Gesundheitssektor kommt. 

Auch juristisch bestehen Einschränkungen: Exekutive Anordnungen unterliegen dem Administrative Procedure Act, der unter anderem öffentliche Anhörungen sowie eine formell rechtssichere Begründungspflicht vorsieht. Viele von Trump’s Executive Orders wurden von Gerichten gestoppt, bei der Einführung des Most Favored Nation Prinzip könnten die Gerichte auch eingreifen da die rechtliche Grundlage unklar ist. 

Aber auch gesellschaftlicher Widerstand darf nicht unterschätzt werden. Es hat sich mit der «Make America Healthy Again»-Bewegung eine Unterstützerbasis für Trumps und Kennedys Reformen gebildet. Und viele Massnahmen, wie das beschlossene Verbannen synthetischer, auf Erdöl basierender Farbstoffe bis Ende nächsten Jahres, dürften auf einen breiten Konsens treffen. Allerdings könnte Kennedys Fokus, den Zuckerkonsum in den USA drastisch einzuschränken, und ultrahoch verarbeiteten Lebensmitteln ebenfalls anzugehen, zu einem Kulturkampf mit der «Make America Great Again»-Bewegung führen. Denn diese sieht sich aktuell schon in einem Abwehrkampf gegen ein wokes, progressives Lager und könnte stringentere Ernährungsempfehlungen als weitere Gängelung interpretieren. Hier wird sich auch Donald Trump - der sich gerne mit Fast Food und Softdrinks zeigt - Gedanken über sein Image machen müssen.  

Fazit: Unsicherheit mit globaler Ausstrahlung 

Die Gesundheitsreformen unter der Trump-Administration und Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. markieren einen tiefgreifenden Wandel im US-Gesundheitssystem. Für internationale Unternehmen, insbesondere in den Bereichen Pharma, Gesundheitsdienstleistungen und Lebensmittelindustrie, ergeben sich daraus sowohl Herausforderungen als auch Chancen. 

Die Einführung des „Most-Favored-Nation“-Prinzips könnte die Gewinnmargen von Pharmaunternehmen erheblich beeinflussen, während die geplanten Einsparungen bei Medicare und Medicaid die Nachfrage nach kosteneffizienten Gesundheitslösungen erhöhen könnten. Zugleich eröffnet die verstärkte Fokussierung auf Prävention und natürliche Inhaltsstoffe neue Marktsegmente für Unternehmen, die innovative und gesundheitsfördernde Produkte anbieten. 

Die US-Gesundheitspolitik 2025 steht sinnbildlich für eine Zeit des Wandels – mit Reibung, Risiken, aber auch Raum für Innovation. In einem politisch und regulatorisch dynamischen Umfeld ist es für Unternehmen entscheidend, flexibel zu agieren und ihre Strategien kontinuierlich anzupassen, um sowohl Risiken zu minimieren als auch neue Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen. Die Marktreaktionen auf die Ankündigung der MAHA-Massnahmen war eher verhalten. Das deutet auf Zweifel bei der Umsetzbarkeit hin. Vieles wird von den Gerichten abhängen. Sollten die Gerichte die Massnahmen nicht stoppen, sind die Margen zahlreicher Unternehmen aus der Pharma- und Lebensmittelbranchen bedroht. Für aktive Anleger lohnt es sich die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten genau zu verfolgen.