VZ Analyse
Kevin Hassett verwechselte Gewinne mit Dividenden und erklärte das Aktienrisiko für irrelevant. Trotzdem gibt es einen plausiblen Grund, warum er der Kronfavorit für den Posten als US-Notenbankchef ist.
Publiziert vor 6 Stunden
Beschreibung
Kevin Hassett gilt als Trumps Favorit für den Posten des Fed-Chefs und damit als möglicher Nachfolger von Jerome Powell, dessen Amtszeit im Mai 2026 endet. Zahlreiche gewichtige Stimmen betonen jedoch, dass vor allem Hassetts ideologische Nähe zu Trumps Weltbild ihn zum Kandidaten Nummer eins macht – und nicht seine ökonomische Expertise. Das erscheint plausibel, denn Hassett hat sich in der Vergangenheit einige gravierende Fehltritte geleistet, darunter einen besonders peinlichen vor rund 25 Jahren.
Im Herbst 1999, als der Dow Jones Industrial Average kurz vor dem Höhepunkt der Dotcom-Blase bei etwa 10’000 Punkten notierte, legten Kevin Hassett und der Journalist James Glassman eine geradezu atemberaubende Prognose vor: Der Dow Jones sollte auf 36’000 Punkte steigen – fast eine Vervierfachung von einem bereits sehr hohen Niveau aus. Die Grundlage dieser Vorhersage, dargelegt im Buch «Dow 36'000», war elegant, gefällig – und fundamental falsch.
Die Autoren stützten ihre extreme Vorhersage auf zwei zentrale, fundamentale Annahmen:
Fehler 1: Die Verwechslung von Gewinnen und Dividenden
Traditionell wird der faire Wert einer Aktie – vereinfacht gesagt – als der Barwert aller zukünftigen Dividenden berechnet (Dividenden-Diskontierungsmodell). Denn Ausschüttungen sind die einzigen Cashflows, die dem Aktionär tatsächlich zufliessen. Hassett und Glassman vertraten hingegen die Ansicht, man könne stattdessen die Gewinne heranziehen, nicht nur die Dividenden. Paul Krugman bezeichnete dies damals als einen grundlegenden Fehler: Gewinne fliessen nicht automatisch an die Aktionäre, und ihre zukünftige Verwendung ist unsicher – ebenso, ob diese Verwendung tatsächlich Wert schafft oder im schlimmsten Fall sogar vernichtet.
Fehler 2: Das Verschwinden der Risikoprämie
Beim zweiten Irrtum stützte sich Hassetts Argumentation auf eine scheinbar überzeugende historische Beobachtung: Über sehr lange Zeiträume (etwa 20 Jahre und mehr) haben Aktien stets höhere Renditen erzielt als Staatsanleihen. Anleger mussten nie eine negative reale Rendite hinnehmen. Daraus leitete Hassett ab, dass Aktien langfristig nicht riskanter seien als Anleihen.
Folglich, so seine Schlussfolgerung, sollten Investoren keinen zusätzlichen Renditeaufschlag für das Halten von Aktien verlangen. Dieser Aufschlag ist als Equity Risk Premium (ERP) bekannt – die Entschädigung, die Anleger für die höhere Volatilität und Unsicherheit von Aktien gegenüber der relativen Sicherheit staatlicher Schuldtitel erwarten.
Ein KGV von 100 für den Gesamtmarkt?
Hassett ging sogar noch weiter: Er prognostizierte, die Märkte würden ihren «Irrtum» bald erkennen und die ERP würde verschwinden, also auf null sinken. Damit rechtfertigte er rechnerisch einen massiven Anstieg der Aktienkurse. Zum damaligen Zeitpunkt implizierte diese Annahme ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 100, gegenüber dem historischen Durchschnitt von 15 bis 25.
Ein nicht zu vernachlässigendes Risiko von Aktien liegt aber darin, dass sie innerhalb weniger Monate massiv einbrechen können. Ein solcher Kurssturz vernichtet Kapital zu einem Zeitpunkt, den der Anleger nicht beeinflussen kann – etwa genau dann, wenn er das Geld dringend benötigt.
Die meisten Investoren verfügen ausserdem über relativ kurze und klar definierte Anlagehorizonte: ein Rentner, der auf regelmässige Einkünfte angewiesen ist; ein zukünftiger Hauskäufer, der für eine Anzahlung spart; oder ein Unternehmen, das quartalsweise Rechenschaft über seine Finanzlage ablegen muss. Für dieses Risiko verlangen die Marktakteure eine Entschädigung, weil es nicht aufgrund von Langfristbetrachtungen verschwindet.
Kein Markt – selbst nicht in einer Phase überschäumenden Optimismus – ist bereit, ein KGV von 100 auf Grundlage einer historischen Beobachtung zu akzeptieren, die eine unbegrenzte Haltedauer voraussetzt.
Was heisst das für Privatanleger?
Manche Anleger mögen über die optimistische Prognose eines Markt-KGV von 100 schmunzeln. Doch die Faktoren, die damals solche ambitionierten Bewertungen ermöglichten – von der Höhe der Diskontierungsraten über die Wachstumsannahmen bis hin zur Frage, wie Gewinne tatsächlich an die Aktionäre zurückfliessen – bestimmen auch heute die Diskussion.
Mit den Investitionen der Tech-Superstars in KI sowie Aktienrückkäufen als Ersatz für Dividenden stehen Investoren weiterhin vor der Herausforderung, buchhalterische Gewinne in reale Cashflows für Aktionäre zu übersetzen. Übermässig optimistische Gewinnannahmen oder aggressive Kürzungen der Risikoprämie können Bewertungsziele erzeugen, die präzise wirken, aber auf unsicherem Fundament ruhen.
Und dass Hassett einst den Dow bei 36’000 sah, zeigt trotz aktuellem Indexstand von 48'000 weniger seine Weitsicht als die Bereitschaft, ökonomische Grundsätze zugunsten einer schönen Geschichte zu verbiegen – eine Eigenschaft, die ihn heute eventuell sogar zum Favoriten für den Posten des US-Notenbankchefs macht.
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