VZ-Analyse

Wie Anleger die Anlage-Experten von Banken schlagen können

An der Wallstreet sind die Bullen zurück. Warum Anlegern dies egal sein kann - und wie sie Bank-Experten dennoch schlagen können.

15. Mai 2025

Autor: Andreas Paciorek / VZ VermögensZentrum

Goldman Sachs erhöhte am Montag die Jahresendprognose für den S&P 500 sowie die 12-Monats-Aussicht der Gewinnprognose je Aktie des Index. Damit vollzieht die berühmte Investmentbank eine heftige Kehrtwende. Denn noch vor wenigen Tagen warnten die Analysten vor einem weiteren 20-Prozent-Kursrutsch im S&P 500. 

Viele Anleger richten sich nach den Vorhersagen von Börsenexperten – doch deren Treffsicherheit lässt zu wünschen übrig. Zahlreiche Studien zeigen: Die Prognosen selbst namhafter Wall-Street-Gurus sind im Schnitt schlechter als ein Münzwurf. Wie die letzten Jahre ist auch das laufende Jahr keine Ausnahme dafür, wie häufig Grossbanken ihre Kursziele korrigieren mussten – mal nach oben, mal nach unten. Die Lehre daraus: Wer seine Anlagen breit diversifiziert, einer klaren Strategie treu bleibt und Geduld mitbringt, hat langfristig meist die besseren Karten – sogar gegenüber Finanzprofis. 

Wenn Experten so oft falsch liegen wie der Zufall 

Börsenprognosen berühmter „Gurus“ füllen in den Finanzmedien ganze Spalten. Doch ihr tatsächlicher Wert für Anleger ist fraglich. Eine Auswertung der CXO Advisory Group von 6500 Marktprognosen über rund 14 Jahre hinweg ergab eine durchschnittliche Trefferquote von nur etwa 47 Prozent. Die Anleger könnten also genauso gut eine Münze werfen. Sie wären damit auf lange Sicht sogar etwas treffsicherer. Die Verteilung der Treffer glich dabei einer Glockenkurve des Zufalls, und zwei Drittel der „Experten“ lagen sogar häufiger falsch als richtig. Unter den untersuchten prominenten Börsengurus finden sich keine Hellseher: So kam Star-Investor Jeremy Grantham nur auf 48 Prozent, der amerikanische TV-Börsenguru Jim Cramer auf 47 Prozent und die ehemalige Goldman-Sachs-Chefstrategin Abby Joseph Cohen gar auf magere 35 Prozent Trefferquote. 

2023: Börsenrally düpiert die Profi-Prognosen 

Das Jahr 2023 führte eindrücklich vor Augen, wie schnell selbst Profis ihre Markteinschätzungen anpassen müssen. Nach dem schwachen Börsenjahr 2022 starteten viele Banken vorsichtig ins Jahr 2023 – und lagen damit daneben. Die US-Technologiewerte hoben dank des KI-Booms ab, und der breite Markt zog mit. Infolge dieser Rally sahen sich etliche Strategen gezwungen, ihre Kursziele mehrfach nach oben zu revidieren. So erhöhte Goldman Sachs im Juni 2023 seine Prognose für den S&P 500 deutlich: Statt 4000 Punkte noch Anfang des Jahres erwartete man nun 4500 Punkte bis Jahresende – ein Plus von rund 13 Prozent. 

Andere Vorzeichen, ähnliches Szenario in 2024 

Der S&P 500 zeigte eine kräftige Rally von 6 Prozent und neue Allzeithochs bis Ende Februar. Und so korrigierte beispielsweise die Grossbank Barclays, welche für den S&P 500 zunächst 4800 Zähler prognostizierte, ihr Kursziel dann im Februar 2024 auf 5300 Punkte. Eine Schweizer Grossbank legte ebenfalls im Februar nach und hob ihr Jahrendziel sogar von zuvor 5150 auf 5400 Punkte an – damals der optimistischste Wert unter den grossen Instituten. Und selbst das war nicht mal nah dran. Tatsächlich schloss der S&P 500 das Jahr 2024 mit 5881 Punkten ab. 

Frühes 2025: Plötzliche Sorgen und Korrekturen nach unten 

Die Stimmung der Finanzprofis schlägt ebenso schnell in die andere Richtung um. Im Zentrum stand in diesem Jahr die Furcht vor einer Rezession aufgrund des Zollkrieges. Goldman Sachs schlug Alarm: Die Bank bezifferte zeitweise die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession auf nahezu 50 Prozent, nachdem sie diese kurz zuvor noch viel tiefer eingeschätzt hatte. Auch andere Grössen der Wall Street klangen plötzlich deutlich pessimistischer – J.P. Morgan etwa schätzte die Rezessionsgefahr gar auf 60 %. Die Finanzmärkte reagierten nervös auf diese Kassandrarufe und Medien wirkten hier noch verstärkend. Innerhalb weniger Monate wandelte sich der Tenor von „Boom“ zu „Crash“. Noch Anfang 2025 erwartete beispielsweise JP Morgan für den S&P 500 ein Jahresendstand von 6500 Punkten. Anfang April wurde dieses Ziel drastisch auf 5200 Punkte reduziert und sogar vor einem möglichen Tiefstand von 4000 Punkten gewarnt. Goldman Sachs warnte noch wenige Tage vor den US-chinesischen Zollverhandlungen vor weiteren Abgaben im S&P 500 von 20 Prozent. 

Nun wieder die Rückkehr der Bullen 

Ebenso schnell, wie der Pessimismus gekommen war, schlägt die Stimmung aktuell wieder ins Positive um und die US-amerikanische Investmentbank vollzieht die Kehrtwende. Am Montag, den 12. Mai - nach der Zolleinigung - korrigierten die Experten ihre Prognosen für den S&P 500 bis Ende 2025 nach oben von 5900 auf 6100 Punkte. Darüber hinaus wurden die Gewinnprognosen je Aktie für 2025 und 2026 auf ein Wachstum von jeweils 7 Prozent angehoben, nachdem zuvor nur 3 bzw. 6 Prozent erwartet wurden. Die neue Schätzung basiert auf „geringerer Unsicherheit, schnellerem Gewinnwachstum, niedrigerer Inflation und erneuertem Vertrauen in die Fundamentaldaten der grössten Aktien im Index.“ Goldman Sachs hat auch die Wahrscheinlichkeit einer Rezession wieder auf 35 Prozent gesenkt. 

Dieser rasche Sinneswandel innerhalb weniger Wochen blieb nicht unbemerkt: Die Finanzpresse titelte spöttisch „The Bulls Are Back in Town“, die Bullen sind zurück, um den überraschenden Optimismus an der Wall Street zu beschreiben. Auch zahlreiche andere Häuser zogen nach – mal wieder. 

Die Lehre für Anleger 

Bankprognosen sind oft Momentaufnahmen – sie ändern sich mit der Nachrichtenlage und liegen regelmässig daneben. Diversifikation und Geduld schlagen die Finanzprofis. Was sollen Privatanleger nun aus diesem Auf und Ab solcher Prognosen schliessen? Vor allem Gelassenheit bewahren. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Börsengurus treffen nicht häufiger ins Schwarze als der Zufall. Niemand weiss verlässlich, wohin sich der Markt in einigen Monaten bewegt – auch die Profis nicht. Wer jedoch breit diversifiziert investiert und an seiner langfristigen Strategie festhält, fährt meist besser. Langfristig zahlt sich Geduld aus: Die grossen Indizes haben historisch immer wieder neue Höchststände erreicht, trotz aller Zwischenkorrekturen und Fehlalarme. Ein strategisch denkender Anleger, der nicht jeder Prognose hinterherrennt, kann so manchem Marktexperten am Ende den Rang ablaufen – und ganz entspannt die Profis schlagen.