VZ-Analyse
Ob steigende Zinsen, fallende Währungen oder schwankende Aktien – wer ruhig und breit investiert bleibt, profitiert gerade jetzt vom Auseinanderlaufen der Märkte.
Autor: Andreas Paciorek / VZ VermögensZentrum
Krisen reissen nicht ab: Pandemie, Krieg in der Ukraine, geopolitische Spannungen, Inflationssorgen. Parallel überschlagen sich an den Finanzmärkten die Ereignisse: Künstliche Intelligenz befördert neue Börsenstars nach oben, die die «langweiligen» Old-Economy-Titel in den Schatten stellen. Aktienregionen an der Spitze der Performancerangliste wechseln im Rekordtempo ab: Noch im 2024 dominierten US-Titel, seit 2025 sind es plötzlich die europäischen Aktien. Im April erlebte der S&P 500 seinen grössten Zweitagesverlust jemals – und macht die Verluste binnen kurzer Zeit wieder wett. Auf der anderen Seite stieg die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen so stark wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Gleichzeitig fällt der US-Dollar trotz seiner traditionellen Rolle als sicherer Hafen auf den tiefsten Stand gegenüber dem Franken seit zehn Jahren.
All das wirkt verwirrend – doch es gibt eine gute Nachricht: Die Korrelationen an den Märkten sinken. Was kompliziert klingt, bringt einen entscheidenden Vorteil: Mehr Unabhängigkeit zwischen den einzelnen Anlageklassen bedeutet mehr Ausgleich – und genau davon profitiert ein breit diversifiziertes Depot und eine Strategie der ruhigen, kostengünstigen Indexanlage.
Aktien vs Anleihen – der traditionelle Puffer (Grafik)
Historisch neigen Aktien und Anleihen dazu, entgegengesetzt auf Wirtschaftsereignisse zu reagieren. Wenn die Börsen fallen, wird oft auf festverzinsliche Papiere ausgewichen, sodass diese steigen. In den Jahren nach der Finanzkrise und während Corona war diese Systematik gebrochen – das bedeutet, dass sich Aktien und Anleihen in die gleiche Richtung bewegten. In der Grafik erkennt man, dass die Aktien-Anleihen-Korrelation zeitweise stark schwankt und bei exogenen Schocks sprunghaft reagieren kann.
Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie lag die Korrelation deutlich im negativen Bereich. Bei den Ausrufen der Lockdowns verlor der MSCI innert Wochenfrist über 10 Prozent, und auch globale Anleihen gaben um über 3 Prozent nach – aufgrund steigender Ausfallwahrscheinlichkeiten bei Unternehmensanleihen. Einen umgekehrten Effekt zeigte die Reaktion auf die US-Zollankündigungen durch Trump: Die Absicherung von Aktienrisiken mittels Anleihen setzte unmittelbar ein. Globale Anleihen kompensierten die Kursverluste teilweise mit positiven Renditen und schützten gemischte Portfolios vor deutlich grösseren Einbussen.
Die sinkende Korrelation ist daher eine gute Nachricht: Sie bedeutet, dass ein ausgewogenes Depot (Aktien/Anleihen) wieder mehr Diversifizierungsvorteile bietet und Anleihen ihre Rolle als Stabilitätsanker zurückerlangen.
Entkopplungstendenzen an den Aktienmärkten
Im Jahr 2024 lagen die US-Aktienmärkte klar vorn, während Schweizer und europäische Aktien deutlich schwächer liefen. So schaffte der S&P 500 in Franken gerechnet 34,7 Prozent, weit vor dem SMI mit 7,5 Prozent und der 13,2 Prozent im Euro Stoxx 50. Dieser Vorsprung hat sich 2025 gelegt: Per Ende April legte der SMI etwa 7,3 Prozent zu und der Euro Stoxx 50 in Franken gerechnet 6,3 Prozent, während der S&P 500 rund 13,8 Prozent verlor.
Zyklische vs defensive Titel
Aktuell entkoppeln sich auch konjunkturabhängige (zyklische) von defensiven Titeln. Zyklische Branchen – etwa Industrie, Technologie oder Konsumgüter – unterliegen dem Wirtschaftstrend und büssten zuletzt deutlich an Wert ein. Im Gegenteil stiegen oder blieben defensive Sektoren relativ stabil.
Entkoppelung innerhalb Sektoren
Interessant ist, dass diese Entkopplungstendenz nicht nur zwischen verschiedenen Anlageklassen, Aktien-Regionen und -Sektoren zu beobachten ist, sondern auch innerhalb einzelner Branchen. Besonders auffällig ist dies unter den grossen US-Tech-Werten: Sie entwickelten sich zuletzt sehr unterschiedlich. Nvidia etwa profitierte letztes Jahr massiv vom KI-Boom, während Apple und andere „Old-Economy“-Techs gemächlicher stiegen. Konkret: Die Nvidia-Aktie legte 2024 um fast 171 Prozent zu, während Apple um 36 Prozent stieg und Microsoft «nur» um 13 Prozent. In diesem Jahr liegt per Anfang Mai wiederum Microsoft über 15 Prozentpunkte sowohl vor Apple als auch Nvidia, die beide noch um die Rückeroberung der Gewinnzone kämpfen. Diese Performance-Unterschiede zeigen, dass die großen Technologie-Konzerne zuletzt nicht mehr synchron liefen.
Währungs- und Anleihenmärkte: Historisch ungewöhnliche Entkopplung
Auch bei Währungen zeigen sich sinkende Korrelationen. Der «Sichere Hafen» US-Dollar fiel per Ende April gegen den «Sicheren Hafen» Schweizer Franken um 9 Prozent. Der US-Dollarindex (DXY) verlor alleine im April 2025 annähernd 5 Prozent, während gleichzeitig die US-Staatsanleiherenditen (10 Jahre) im April den stärksten wöchentlichen Anstieg in mehr als zwei Jahrzehnten aufwiesen. Normalerweise würde ein Renditeanstieg den Dollar stärken – hier geschah das Gegenteil. Auch diese Entkopplung zwischen Währungs- und Zinsentwicklung deutet darauf hin, dass sich Anlageklassen derzeit immer weniger synchron bewegen.
Diversifikation bleibt entscheidend
Die beschriebenen Entkopplungen bieten einen Mehrwert für das Depot: Ein breit gestreutes Portfolio profitiert, wenn sich einzelne Marktsegmente unabhängig entwickeln. Ein disziplinierter, diversifizierter Ansatz hilft, Turbulenzen zu begegnen: Nicht alle Eier in einen Korb legen und keinen Trends hinterherlaufen. Die jüngsten Marktentwicklungen bestätigen diesen Rat. Und sinkende Korrelationen begünstigen diese Anlagephilosophien sogar.
Korrelation – einfach erklärt
Korrelation ist ein Mass dafür, wie sehr sich die Preise zweier Anlagen gemeinsam bewegen. Bei einer Korrelation von +1 steigen oder fallen sie immer im Gleichschritt, bei –1 bewegen sie sich genau entgegengesetzt, bei 0 weitgehend unabhängig. Praktisch bedeutet das: Liegt etwa eine negative Rendite-Korrelation vor, gewinnt tendenziell der Wert der einen Anlage, wenn der der anderen fällt. Das ist vorteilhaft, weil eine Anlageklasse dann als Puffer oder Absicherung gegen Verluste in der anderen dienen kann. In Phasen positiver Korrelation hingegen bewegen sich alle Anlagen gleichzeitig nach oben oder unten, was das Gesamtrisiko eines Portfolios erhöht.