Nachlass

Beim Erben steht viel auf dem Spiel

Beim Thema Erbschaften gehört der Lausanner Professor Marius Brülhart zu den führenden Wissenschaftlern der Schweiz. Ein Gespräch über Vermögen, Emotionen und Tabu-Themen.

Herr Brülhart, wie viel Geld geht in der Schweiz jedes Jahr an die nächste Generation weiter? 

Dieses Jahr erwarten wir einen neuen Rekord. Nach unseren Schätzungen summieren sich die vererbten und geschenkten Vermögen auf rund 100 Milliarden Franken. In den letzten 30 Jahren hat sich das vererbte Vermögen praktisch verfünffacht, und es wird um rund drei bis vier Prozent pro Jahr weiterwachsen. 

Warum wird es immer mehr? 

Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir Schweizerinnen und Schweizer sind Weltmeister im Sparen – im internationalen Vergleich haben wir eine überdurchschnittliche Sparquote, oft bis ins hohe Alter. Das hat auch damit zu tun, dass der Staat gezielt steuerliche Anreize schafft, um Vermögen aufzubauen, etwa in der Pensionskasse und Säule 3a. Gleichzeitig steigt der Wert von Häusern, Wohnungen und Aktien langfristig stärker als die Einkommen. 

Wie alt sind die typischen Erbinnen und Erben? 

Die meisten erben in der Regel erst, wenn sie schon 50 sind oder kurz vor der Pensionierung stehen. Für die Finanzierung eines Eigenheims oder den Start in die Selbstständigkeit ist es dann oft zu spät. Je nachdem kann es darum sinnvoll sein, dass Eltern ihre Kinder schon zu Lebzeiten finanziell unterstützen. 

Für den neuen ''Erbschaftsreport'' haben Sie 17'000 Testamente ausgewertet. Was zeigt Ihre Untersuchung?

Wir haben anonymisierte Testamente einer etablierten Schweizer Online-Plattform analysiert. Damit diese rechtsgültig sind, müssen sie noch von Hand geschrieben werden. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass sowohl Ehepaare als auch Lebensgemeinschaften von der Erbrechtsreform profitieren. 2023 wurden die Pflichtteile der Kinder reduziert und jene der Eltern abgeschafft. Verheiratete und unverheiratete Paare nutzen die neuen Freiheiten, indem sie einander die Erbquoten zuweisen, die am besten zu ihrer Situation passen. Damit scheint die Reform ihr Ziel erreicht zu haben, modernen Lebensentwürfen Rechnung zu tragen. 

Trotzdem hinterlassen nur die wenigsten ein Testament. 

Viele verzichten darauf oder schieben die Regelung des Nachlasses auf die lange Bank. Erbschaftsfragen sind sehr emotional. Die meisten setzen sich nur ungern mit der eigenen Sterblichkeit auseinander. Gleichzeitig kann beim Erben viel auf dem Spiel stehen – finanziell und familiär. Im Nachlass steckt Konfliktpotenzial, zum Beispiel wenn die Familiengeschichte mit all ihren Tabu-Themen in den Mittelpunkt rückt. Das können Kränkungen aus der Vergangenheit sein, alte Streitigkeiten, schlechte Erinnerungen – also alles, was unverarbeitet geblieben ist. 

Kann man seinen Nachlass so regeln, dass es keinen Streit gibt?

Das Erbrecht bietet einige Möglichkeiten. Je klarer man seinen letzten Willen formuliert, desto besser ist es in der Regel für die ganze Familie. Besonders wichtig ist das auch, wenn eine Firma oder Liegenschaften zum Nachlassvermögen gehören. 

Zur Person

Prof. Dr. Marius Brülhart ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Lausanne. Davor war er Lehrbeauftragter an der Universität Manchester (UK) und Dozent am Trinity College Dublin. Er hat unter anderem die Weltbank, die Europäische Kommission, die OECD sowie verschiedene Schweizer Regierungsstellen beraten.