Schwankungsanfälligkeit der Aktien bleibt hoch
Wie entwickelt sich die Zinslandschaft? Was sind die Treiber an den Aktien- und Anleihemärkten? Wie sieht es bei anderen Anlageklassen aus? Eine Einschätzung von VZ-Anlagechef Rolf Biland.

Rolf Biland
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1. Lagebeurteilung: Die Finanzmärkte verharren in der Ungewissheit
Noch ist aus volkswirtschaftlicher Sicht keine Entspannung absehbar. Die Inflation verbleibt auf hohem Niveau oder steigt gar weiter und die Notenbanken erhöhen die Zinsen noch immer in grossen Schritten. Das zeigt sich auch an den Aktienkursen: Die Schwankungsanfälligkeit bleibt hoch. Auf einen negativen September folgte an den Börsen ein sehr positiver Oktober. 2022 wird wohl als Jahr der Überreaktionen der Märkte auf makroökonomische und geopolitische Ereignisse in die Geschichte eingehen.
Wie gut der Oktober war, zeigen folgende Zahlen: Der Schweizer Leitindex (SMI) hat sich seit den Jahrestiefständen um 8 Prozent erholt, der deutsche DAX gar um über 10 Prozent. Auch in den USA kam es zu einer ähnlichen Entwicklung beim marktbreiten S&P 500 Index. Solche Gegenbewegungen gingen am Technologieindex Nasdaq 100 vorbei: Dieser notiert noch immer in der Nähe des Jahrestiefs. Das liegt vor allem daran, dass die Indexschwergewichte im dritten Quartal dieses Jahres die noch immer stattlichen Erwartungen nicht erfüllen konnten.
Dennoch zeigt sich, dass eine hohe Inflation und eine drohende Rezession ihren Schrecken für die Finanzmärkte vorerst etwas eingebüsst haben. Vielmehr werden im täglichen Informationsrauschen positive Aspekte gesucht, die eine höhere Bewertung von Aktien rechtfertigen würden. Dieser Fokus kann sich aber schnell wieder ändern. Noch bleibt die gesamtwirtschaftliche Lage fragil. Es ist zu früh, um die Auswirkungen der bisherigen Zinserhöhungen abzuschätzen.
In der Eurozone steigt die Inflation weiterhin an, zuletzt auf 10,7 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Einführung des Euros. In den USA liegt die Teuerung bei 8,2 Prozent. Sie war zuletzt zwar zurückgegangen, liegt aber immer noch weit über dem Zielwert der US-Notenbank (Fed) von 2 Prozent. Eine Ausnahme ist die Schweiz. Hier bildete sich die Teuerung von zuletzt 3,3 auf 3 Prozent zurück.
Bei der letzten Zinssitzung hat die Fed erneut einen «Jumboschritt» in Höhe von 0,75 Prozentpunkten vollzogen. Damit liegt das Zinsband nun zwischen 3,75 bis 4 Prozent. Unklar bleibt jedoch der künftige Kurs. Womöglich verlangsamt Fed-Chef Jerome Powell das Zinserhöhungstempo – allerdings nur, wenn es gelingt, die Inflation zu bekämpfen. Aus Sicht von Powell ist es noch verfrüht, über eine Pause bei den Zinserhöhungsschritten nachzudenken.
Derweil bleiben die Sorgen um einen Fall in eine Rezession präsent. In der Eurozone ist ein solches Szenario allerdings deutlich realistischer. Ob die USA ebenfalls einen längeren Wirtschaftsabschwung erleben werden, ist unter den Ökonomen umstritten. Auch hier gilt: Fällt die Entwicklung weniger schlimm als befürchtet aus, würde sich dies höchstwahrscheinlich positiv auf die Börsen auswirken.
Fazit
- Die Aktienkurse bleiben weiterhin schwankungsanfällig.
- Die Notenbanken setzen im Kampf gegen die Inflation die Zinserhöhungsschritte fort.
- Sorgen um eine Rezession in Europa und den USA halten die Märkte im Bann.
2. Aktien: Stimmungsschwankungen der Anleger dominieren das Geschehen
Das Hauptziel der Notenbanken bleibt die Bekämpfung der hohen Inflation. In den USA wurde der Höhepunkt zwar im Juli überschritten, der Rückgang der Teuerung hält sich jedoch in engen Grenzen, insbesondere die Kerninflation (Inflation ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise) stieg im September nochmals an und für Oktober wird nur mit einer leichten Abschwächung gerechnet. Das Hauptaugenmerk der US-Notenbank Fed liegt dabei insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Noch immer ist die Anzahl offener Stellen höher als die Zahl Arbeitssuchender. Daher sind auch die Löhne gestiegen und liegen rund fünf Prozent über dem Vorjahresniveau.
Aus diesem Grund wird die Fed ihre Geldpolitik weiter straffen, um zu verhindern, dass der Arbeitsmarkt die Teuerung weiter anschiebt. So hat die Fed Anfang November zum vierten Mal in Folge den Leitzins um 75 Basispunkte angehoben und auch in Aussicht gestellt, dass die Zinsen, wenn auch in kleineren Schritten, weiter erhöht werden dürften.
Immerhin gibt es auch Anzeichen, dass die Dynamik des Wirtschaftswachstums langsam nachlässt. Vorlaufindikatoren wie Einkaufsmanagerindizes zeigen eine Wachstumsverlangsamung an. Zudem erwarten viele Unternehmen eine deutliche Abschwächung der Nachfrage. Die Lieferengpässe dürften nachlassen. Damit scheint das gewünschte Ziel der Notenbanken langsam näher zu kommen.
Die EZB hat die Leitzinsen wie die Fed um weitere 75 Basispunkte angehoben. Wie die vorläufigen Zahlen der Inflation im Oktober gezeigt haben, ist dies auch nötig. Denn die Inflations¬rate stieg nochmals kräftig auf 10,7 Prozent an.
Positive Nachrichten gab es allerdings bezüglich der drohenden Energiemangellage. Die wegfallenden russischen Energieträger konnten gut substituiert werden und die Lager in Europa sind gefüllt. Dabei halfen auch die milden Temperaturen im Herbst. Damit ist die Ausgangslage für den bevorstehende Winter besser als befürchtet. Dennoch wird das Thema Europa weiter begleiten.
In der Schweiz war die Inflationsentwicklung im letzten Monat wieder rückläufig. Zudem war der Schweizer Aussenhandel im dritten Quartal sehr erfreulich und trug massgeblich zur guten Entwicklung der Schweizer Wirtschaft bei. Dennoch wird auch hierzulande die konjunkturelle Schwäche des wichtigsten Handelspartners, der EU, in den kommenden Monaten zu spüren sein.
Die Entwicklung an den Aktienmärten in den letzten Monaten zeigt, wie schnell die Stimmung umschlagen kann. War der September der schwächste Monat, legten die Märkte im Oktober wieder stark zu. Zudem sind zurzeit schwächere Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung eine positive Nachricht für Aktienanleger. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in diesem Fall die Notenbanken ihre Geldpolitik weniger stark straffen als bisher oder wie am Markt erwartet. Ausserdem sorgte die Berichtsaison in den USA für starke Bewegungen. Wurden die Abschlüsse der grossen Finanzinstitute zu Beginn grösstenteils sehr positiv aufgenommen, war die Spannung gross vor den Zahlen der «Big Tech». Während die Reaktion bei Apple verhalten ausfiel, sorgten die Quartalszahlen bei den anderen Unternehmen für starke Abschläge.
Am stärksten kamen die Valoren von Meta unter Druck. Aber auch Amazon oder Alphabet verloren deutlich an Wert. So werden bei einer rezessiven Entwicklung eine abschwächende Nachfrage (Amazon) oder sinkende Werbeeinnahmen (Alphabet) befürchtet. Deshalb schnitten auch die Sektoren Kommunikation (Alphabet und Meta) und Zyklischer Konsum (Amazon) seit Ende September am schwächsten ab. Dem gegenüber steht der Energiesektor, der einmal mehr von einem Anstieg der Ölpreise profitierte.
In der regionalen Betrachtung konnten europäische Aktien im letzten Monat am meisten zulegen und waren leicht besser als der US-Aktienmarkt. Schwächer war die Entwicklung bei den Schwellenländern aufgrund des stärkeren Einbruchs bei chinesischen Aktien. Diese kamen stark unter Druck nachdem die kommunistische Partei auf dem Parteitag Präsident Xi Jinping im Amt bestätigte. Die Hoffnung auf eine weniger restriktive Covid-Politik sorgte aber in den letzten Tagen für eine positive Entwicklung und so liegen auch Schwellenländeraktien seit Ende September im positiven Bereich.
Fazit
- Die Entwicklung der Inflation und die Notenbanken bleiben im Fokus.
- Abschwächende Wirtschaft als positive Nachricht für Anleger.
- Stimmungswechsel sorgen für weiterhin erhöhte Schwankungen an den Märkten.
3. Zinsen: Auch in Europa endet Ära der lockeren Geldpolitik
Im vergangenen Monat stiegen die Zinsen in allen Regionen an. Besonders kräftig war der Auftrieb in den USA. Am geringsten fiel der Zinsanstieg in der Schweiz aus. Im Laufe des Oktobers waren die Zinsen in der Schweiz zeitweise sogar leicht rückläufig. Entsprechend verloren Franken-Obligationen im Vergleich zu Fremdwährungsobligationen weniger an Wert.
Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen erreichte im Oktober einen neuen Höchststand und blieb grösstenteils über der Vier-Prozent-Marke. Die Renditen für kürzere Laufzeiten, welche die Erwartungen an die US-Geldpolitik widerspiegeln, näherten sich sogar dem Wert von 5 Prozent an.
Somit ist die Zinsstrukturkurve in den USA weiterhin invers und deutet auf eine mögliche Rezession hin. Die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe bewegte sich zuletzt zwischen 2 und 2,5 Prozent. Nur die Renditen des zehnjährigen Schweizer Eidgenossen blieb mit rund mit 1,2 Prozent vergleichsweise tief.
Die steigenden Zinsen wurden erneut vor allem von den Erwartungen an die Zentralbanken getrieben. Anfang November kündigte die US-Notenbank Fed den vierten Zinsschritt an. Durch die Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte liegt die Zielbandbreite für den US-Leitzins neu zwischen 3,75 und 4,0 Prozent. So hoch waren die US-Zinsen zuletzt im Jahr 2008. Im Zentralbankbericht wurde gleichzeitig eine mögliche Verlangsamung des Zinserhöhungstempos signalisiert. An der letzten Fed-Sitzung in diesem Jahr dürfte ein weiterer Schritt in Höhe von 50 Basispunkten folgen. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell räumte allerdings ein, dass der Höchststand bei den Leitzinsen etwas höher sein könnte, als man bis bislang erwartet hat. Die Inflationsbekämpfung sei noch nicht gelungen. Diese Aussage verunsicherte die Marktteilnehmer und führte zu steigenden Zinsen.
Auch die Europäische Zentralbank EZB treibt mit grossen Schritten die geldpolitische Normalisierung voran. Die Notenbank verabschiedete Ende Oktober eine zweite Zinserhöhung von 0,75 Prozent. Der Einlagesatz in Euro beträgt aktuell 1,5 Prozent. Ein Grossteil der geldpolitischen Expansion sei gemäss der EZB-Aussage somit zurückgefahren. Bei einer Teuerung von über zehn Prozent ist aber klar, dass der Notenbankauftrag zur Preisstabilität noch nicht erfüllt ist.
Die EZB-Chefin Christine Lagarde betonte, dass die Inflationsbekämpfung oberste Priorität für die Noten-bank hat und dass die Leitzinsen weiter gestrafft werden. Im Dezember wird mit einem weiteren grossen Zinsschritt in Höhe von mindestens 50 Basispunkten gerechnet. Die Straffung der Geldpolitik in Europa wird höchstwahrscheinlich auch 2023 fortgesetzt.
Der aussergewöhnlich hohe Teuerungsdruck seit Anfang des Jahres machte eine kontinuierliche Straffung der globalen Geldpolitik erforderlich. Die Inflationsraten in den USA sind zwar seit Juni leicht rückläufig, die Gesamtteuerung verharrt aber trotzdem auf dem sehr hohen Niveau von rund acht Prozent. Die Inflationsrate in Europa stieg ebenfalls kräftig an und betrug zuletzt achtsame 10,7 Prozent. Die Teuerungstendenzen sprechen weiterhin für eine Straffung der Geldpolitik in diesen Regionen.
Auch die Schweizerische Nationalbank SNB nutzte die Gelegenheit und stieg im September aus der Negativzinspolitik aus. Die Inflation in der Schweiz tendierte in den letzten zwei Monaten langsam nach unten. Die Konsumentenpreise von Oktober waren im Vergleich zum Vorjahr rund drei Prozent höher.
Somit verharrt die Jahresteuerung über dem Zentralbankziel von zwei Prozent. Erwartet wird, dass der SNB-Leitzins im Dezember um 0,5 Prozentpunkte auf 1 Prozent angehoben wird. Mit der eingeleiteten Bilanzreduktion sorgt die SNB zugleich für einen starken Franken, der die importierte Inflation dämpft.
Fazit
- Trotz der Überleitung zur restriktiven Geldpolitik, dürfe das Zinsstraffungstempo bald abnehmen.
- Somit wird der Zinsanstieg ebenfalls nachlassen.
- Dafür spricht auch die attraktivere Entschädigung der Zinsrisiken, welche Anleger anziehen dürfte.
4. Weitere Anlageklassen: Verknappung des Angebots durch OPEC+ lässt Ölpreise wieder ansteigen
Rohstoffe
Seit Anfang Oktober konnte der Ölpreis aufgrund der künstlichen Verknappung des Angebotes seitens der OPEC+ zulegen. War ein Fass Öl der Sorte Brent Anfang des Monats noch für 89 US-Dollar erhältlich, stiegen die Preise zwischenzeitlich auf etwas über 98 US-Dollar. Mit steigenden Preisen wird das Öl-Fracking weltweit wieder attraktiver und würde zusätzliches Angebot generieren.
Trotz kurzfristiger Gewinne Ende September und Anfang Oktober auf-grund der politischen Ereignisse in Italien oder in Grossbritannien, leidet der Goldkurs weiterhin unter den steigenden Zinsen und dem starken US-Dollar. Die Abhängigkeit von Zinsen und US-Dollar war auch Ende Oktober zu beobachten. Als die Zinsen kurzfristig nachgaben, legte der Goldpreis zu. Beim folgenden Zinsanstieg, musste Gold die Gewinne aber wieder abgeben und liegt aktuell bei rund 1’682 US-Dollar pro Feinunze.
Immobilien
Die Aktien von Schweizer Immobilienunternehmen profitierten im Verlauf des Monats von der positiven Anlegerstimmung und stiegen im Einklang mit dem Aktienmarkt. Die Renditen von Immobilienbeteiligungspapieren blieben allerdings aufgrund der Volatilität am Obligationenmarkt hinter der Aktienmarktrendite zurück.
Immobilienfonds wurden hingegen stärker von der Zinsentwicklung beeinflusst und verloren im Oktober rund ein Prozent. Die Preise erholten sich zwar in der zweiten Monatshälfte, konnten allerdings nicht den Wertverlust vollumfänglich gut machen.
Insgesamt bleiben die Preise von indirekten Immobilienanlagen in der Schweiz durch die fortlaufende Straffung der Geldpolitik unter Druck. Die SNB nutze das inflationäre Umfeld und hob den Leitzins im September um 75 Basispunkte an. Somit wurde die Negativzinspolitik erfolgreich beendet. Der Schweizer Leitzins beträgt aktuell 0,5 Prozent.
Die Agios der Immobilienfonds sind zuletzt erneut gefallen und liegen im Schnitt bei 9 Prozent. Es besteht nach wie vor eine grosse Differenz zwischen den Agios von Wohn- und Geschäftsimmobilien. Die Mehrheit der Wohnimmobilienfonds handeln mit einem relativ hohen Aufpreis zum Nettoinventarwert, während Geschäftsimmobilien weniger nachgefragt sind und teilweise mit Abschlag gehandelt werden.
Der Markt für direkte Renditeliegenschaften bleibt trotz der angestiegenen Zinsen robust. Die rekordtiefen Leerstandsquoten bei Wohnimmobilien und die Einwanderung dürfen die Transaktionspreise in diesem Segment weiter stützen. Die angestiegenen Kosten für Hypothekarkredite dürfen für eine leichte Entspannung bei der Immobiliennachfrage sorgen. Mit einer Renditedifferenz von rund 1,7 Prozent zwischen den Ausschüttungsrenditen von Immobilien und den zehnjährigen Schweizer Staatsanleihen sind Immobilienanlagen weiterhin interessant.