Geldanlagen

"Entscheidend ist das digitale Kundenerlebnis"

Marc Weber, CEO der VZ Depotbank, und Thomas Wüst, CEO des Schweizer Digital-Pioniers ti&m, sprechen über die schnell fortschreitende Digitalisierung der Finanzwelt, den Hype um Kryptowährungen und einen Markt, den starke Kräfte in Bewegung halten.

Marc Weber

Geschäftsleiter VZ Depotbank

Marc Weber, worin liegen für die VZ Depotbank die dringendsten strategischen Herausforderungen?

Marc Weber: Als Vermögenszentrum können wir mit den grossen Konkurrenten in der Finanzindustrie nur mithalten, wenn wir unsere Mittel sehr zielgerichtet einsetzen. Deshalb richten wir uns konsequent am Kundennutzen aus. Die Digitalisierung im Bankensektor geht tatsächlich schnell voran, die Erwartungen der Kunden in diesem Bereich sind entsprechend hoch. Unsere digitalen Plattformen müssen deshalb möglichst flexibel und beweglich sein. Wir haben zum Beispiel den Zugang zu Kryptowährungen innerhalb von nur drei Monaten für unsere Kunden erschlossen und vollständig mit dem traditionellen Banking verknüpft.

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Thomas Wüst, Sie zählen eine ganze Reihe etablierter Banken zu Ihren Kunden. In welche Richtung sollten sich die Banken bewegen, und welchen Lösungen können Sie als Digitalisierer bieten?

Thomas Wüst: Der entscheidende Faktor im Banking macht heute das Kundenerlebnis im Frontend aus, also an dem Ort, wo der Kunde in der digitalen Welt auf seine Bank trifft. Eine einheitliche persönliche Sicht auf die Dienstleistungen, hohe Nutzerfreundlichkeit für Smartphones und Desktop sowie effiziente Self-Service-Angebote sind die Erfolgsfaktoren einer digitalen Bank. Diese Elemente bieten wir mit unserer "Digital Banking Suite", auf der das neue VZ-Finanzportal aufgebaut ist. Unsere Digital Banking Suite entkoppelt das Frontend vom Kernbankensystem und dank des modularen Aufbaus können neue Module und Funktionen und sogar die Integration von Leistungen von Dritten in einer schnellen Time-to-Market umgesetzt werden. Dagegen werden Back­end-Systeme zu reinen kostengetriebenen Abwicklungssystemen.

Wie zeigt sich die Bedeutung von kundenzentrierten Frontend-Systemen im konkreten Fall der VZ Depotbank?

Thomas Wüst: Wir haben das Finanzportal mit einem konsequenten "Front-to-Back"-Vorgehen umgesetzt. Das heisst für die Bank als unseren Kunden, dass sie auf Basis unserer flexiblen Banking-Lösung "ti&m digital banking suite" und unserer agilen Vorgehensweise sämtliche Gestaltungsmöglichkeiten im Frontend ausschöpfen kann, während die neue Funktionalität nahtlos in die bestehenden Backend-Services übertragen wird. Dies kann dank der offenen Architektur sowohl auf der Basis der klassischen Kernbankensysteme als auch über "Banking as a Service"-Angebote wie Mambu oder Symitar realisiert werden.

Der erste Eindruck ist entscheidend, heisst es. Wie zeigt sich das beim Online-Banking?

Thomas Wüst: Auch dort ist der erste Kontakt des Kunden mit der Bank entscheidend. Wir haben deshalb einen Registrierungsprozess kreiert, der den interessierten Webseite-Besucher schnell und einfach zum Kunden macht. Die vollautomatische Hologramm-Prüfung und der "Forgery Check" für die Identitätsüberprüfung machen unsere On­boarding-Lösung zur sichersten auf dem Markt. Und durch die Integration in die bestehende Umgebung der Bank werden die Kundeninformationen direkt im Kernbankensystem und im CRM erfasst, was wiederum das Backoffice entlastet.

Welche Funktionen und Dienstleistungen suchen Kunden heute in der "digitalen Schalterhalle"?

Marc Weber: Unser Anspruch ist immer die ganzheitliche Betrachtung des Kunden. Deshalb soll auch unser ­Portal mehr als ein modernes E-Banking sein. Kunden finden bei uns sämtliche Aspekte der umfassenden Finanzberatung auf einer Plattform. Das sind teilweise völlig unterschiedliche Themen wie Versicherungen, Vorsorgeausweise, Immobilienbewertungen, Hypothekenüberwachung, Steuern, Willensvollstreckung und Nachlassplanung, Robo Advice, Säule 3a, sichere Dokumentablage, Passwortsafe und einige mehr. Wir können uns sogar vorstellen, eine "Gateway-Funktion" zum Ökosystem Gesundheit zu bieten, indem wir zum Beispiel den einfachen Zugang zum elektronischen Patientendossier (EPD) ermöglichen. Für eine umfassende Digitalisierung auf diese Art ist aber auf jeden Fall eine höchst flexible Infrastruktur zwingende Voraussetzung. Digitales Onboarding und die Online-Identifikation als erste Schritte zur Etablierung einer Kundenbeziehung gehören ins übergeordnete Thema digitale Identität.

Was halten Sie von der Einführung einer staatlichen digitalen Identität?

Thomas Wüst: Die digitale Identität ist die Grundvoraussetzung für eine sichere und effiziente digitale Wirtschaft. Spätestens die Volksabstimmung über die elektronische Identität hat aber auch gezeigt, dass der Schutz der digitalen Privatsphäre ein sensibles Thema ist. Wir brauchen deshalb eine digitale Identität unter staatlicher Hoheit, die einfach, sicher und flexibel den Benutzer als Bürger, aber auch als Teilnehmer des digitalen Geschäftslebens unterstützt. Aus unserer Sicht ist diese Technologie mit der Blockchain-gestützten Self Sovereign Identity (SSI) heute vorhanden und auf dem besten Wege, marktreife Lösungen zu ermöglichen. Zurzeit arbeiten wir intensiv mit der deutschen IDUnion und deren LISSI-Technologie an vielversprechenden Möglichkeiten in diesem Bereich. Der technologische Fortschritt durchdringt und verändert unsere Gesellschaft in allen Lebensbereichen.

Welche Anwendungen sind in den nächsten Jahren für das Finanzwesen wichtig, und wie wirken sie sich aus?

Marc Weber: In transaktionsorientierten Geschäftsfeldern des Finanzwesens sind meines Erachtens die Distributed- Ledger-Technologien (DLT) und darin der Teilbereich des dezentralisierten Finanzwesens (DeFi) von grosser Bedeutung. In vielen sehr komplexen und teuren Prozessen des klassischen Finanzwesens sind bereits heute Anwendungen verfügbar, mit denen eine radikale Vereinfachung erzielt werden kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich solche neuen Ansätze durchsetzen werden. Etwas skeptischer bin ich im Bereich von Beratungsprozessen. Hier zeigt sich, dass Kundinnen und Kunden gerade in komplexen Fragestellungen die persönliche Beratung in der klassischen Niederlassung bevorzugen.

Thomas Wüst: Nach Jahren des aus meiner Sicht überbewerteten Hypes wird die Blockchain-Technologie doch noch spürbar das Bankengeschäft beeinflussen: Krypto-Assets sind gerade dabei, selbstverständlicher Bestandteil vieler Portfolios zu werden, und Marc Weber hat bereits den steigenden Einfluss von "Decentralized Finance" angesprochen. Als grossen Treiber für Veränderungen sehe ich ausserdem die künstliche Intelligenz (KI). Sie durchdringt bereits heute viele Bereiche der Lösungsentwicklung: Bei der kontextbasierten Personalisierung im Banking-Portal ebenso wie beim effektiven Management von komplexen Portfolios – besonders, wenn es um ökologische und sozialverträgliche Investitionsmöglichkeiten geht. Wir setzen KI bereits in vielen unserer Produkte ein, und es werden immer mehr.

Sie sind nicht nur CEOs erfolgreicher Unternehmen, sondern auch Privatpersonen. Wie digitalisiert sind Sie im persönlichen Bereich und wo ziehen Sie eine Grenze?

Thomas Wüst: In Zeiten von aufgeregten Shitstorms auf Social Media scheint es mir wichtig, sich im Privaten auf den Kern dessen zu besinnen, was das Menschsein ausmacht: persönliche Beziehungen und wirkliches Erleben. Ein WhatsApp-Chat ersetzt kein Gespräch, bei dem man sich an einem Tisch gegenübersitzt. Und einen guten Barolo geniesse ich immer noch ganz klassisch aus dem analogen Glas.

Marc Weber: Privat nutze ich digitale Instrumente immer dort, wo es mir einen persönlichen Effizienzgewinn bringt. Bei Social Media ziehe ich eine Grenze. Dadurch gewinne ich sehr viel wertvolle Zeit, die andere im Netz verbringen. Meinen Freundes- und Familienkreis treffe ich lieber in der wahren Welt.