Geldanlagen

"Viele Anleger wollen zu hoch hinaus"

Anlegerinnen und Anleger entscheiden oft falsch, weil sie zu hohe Risiken eingehen. Finanzprofessor Thorsten Hens erklärt, warum man mit realistischen Zielen weiter kommt – auch beim Geldanlegen.

Herr Hens, Sie erforschen seit Jahren das Verhalten von Anlegerinnen und Anlegern. Warum gehen viele von ihnen zu hohe Risiken ein?

Wer ein Depot eröffnet, begibt sich auf eine Wanderung. Viele überschätzen sich von Anfang an und wollen gleich aufs Matterhorn. Das heisst: Sie wollen hoch hinaus und "traden" hin und her – mit dem Ziel, den Markt zu schlagen. Das schaffen aber nur sehr wenige. Viele fallen dagegen tief, weil ihnen die Erfahrung und die richtige Ausrüstung fehlen. Für die meisten wäre der Uetliberg besser.

Warum ist der Uetliberg das bessere Ziel?

Weil es realistisch ist und weniger riskant: Wer Geld anlegt, sollte mit einer langfristigen Anlagestrategie eine realistische Marktrendite anpeilen – und seine Strategie mit passiven und günstigen Indexanlagen wie ETF umsetzen. Am besten lässt man sich dabei von erfahrenen Profis begleiten.

Die Hilfe von Profis kostet aber Geld, und das schmälert die Rendite...

Das sehe ich anders. Wer bereit ist, für eine seriöse Vermögensverwaltung 1 bis 1,5 Prozent zu bezahlen, ist besser geschützt, vor allem vor sich selbst.

VZ-Studie

Anlegerverhalten in der Schweiz 2023

In dieser Studie weist das VZ nach, dass der Einsatz von Einzeltiteln zu einer schlechteren Performance des Depots führt.

Wie meinen Sie das?

Erfahrene Anlageberater sind wie gute Bergführer: Die lassen Sie nicht in Gletscherspalten fallen. Sie halten Sie also von Panikverkäufen und hektischen Umschichtungen ab, wenn die Kurse einbrechen. Ein Ausstieg im falschen Moment kann die Rendite nämlich langfristig ruinieren. Und weil viele Anleger später den Aufschwung verpassen, können sie ihre Verluste kaum mehr ausgleichen.

Wie viel Rendite entgeht Anlegerinnen und Anlegern, weil sie die Lage falsch einschätzen?

Die Wissenschaft spricht vom sogenannten "Behavioral Gap". Dazu zählen alle Fehlentscheidungen, angefangen von der mangelnden Diversifikation bis zum schlecht gewählten Zeitpunkt von Käufen und Verkäufen. Die Einbussen aufgrund dieses Gaps werden auf 5 bis 7 Prozent pro Jahr beziffert. Darum: Wenn eine gute Beratung diesen Gap verringert, zahlt sich das schnell aus.

Gibt es auch Leute, die aus Gier Fehler machen?

Gier beobachten wir nur bei jeder fünften Testperson. Auch die riesige Auswahl an Produkten und die enorme Nachrichtenflut tragen dazu bei, dass Fehlentscheidungen zunehmen. Viele überprüfen ihre Performance viel zu häufig – oft täglich, weil die Medien ja laufend über das Auf und Ab an den Märkten berichten. Wer über das Smartphone handelt, entscheidet deshalb häufiger falsch. Die Gewinne und Verluste, die man so laufend mitbekommt, verleiten dazu, von der langfristigen Strategie abzurücken.

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Zur Person

Prof. Dr. Thorsten Hens lehrt Wirtschaftswissenschaften am Swiss Finance Institute und Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich. Er ist spezialisiert auf Verhaltensökonomie, genauer auf evolutionäre Finanzmarkttheorie und Behavioral Finance. Hens ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Zürich – mit Sicht auf den Uetliberg.