Pensionierung

Ein höheres Rentenalter ist überfällig

Für die meisten Politikerinnen und Politiker ist das starre Pensionierungsalter von 64/65 ein Tabu. Aymo Brunetti, ehemaliger Chefökonom des Bundes, kritisiert die aktuelle Rentenpolitik.

Herr Brunetti, wagen Sie eine Prognose: Was werden wir über unser Vorsorgesystem sagen, wenn wir 2035 zurückblicken?

Wir werden den Kopf schütteln und uns fragen, warum wir so lange gebraucht haben, um ein Tabu zu brechen: nämlich das fixe Rentenalter von 64/65 endlich aufzugeben.

Was macht Sie so sicher, dass wir in 15 Jahren länger arbeiten?

Wir haben keine Wahl. Und wir haben keine Zeit mehr, denn dieser Schritt ist überfällig. Jeder vernünftige Mensch sieht das ein.

Was meinen Sie konkret?

Mit den Babyboomern erreicht in den nächsten zehn Jahren fast eine Million Menschen das Rentenalter. Ohne eine wirkungsvolle Reform wird die AHV Schulden in Milliardenhöhe anhäufen, und die unerwünschte Umverteilung von Jung zu Alt wird sich weiter verschärfen.

Handkehrum rückt doch auch eine Generation nach, die in unser Vorsorgesystem einzahlt ...

Ja, aber das reicht niemals, um die Renten zu sichern. Im heutigen System ist etwas Entscheidendes dynamisch, nämlich die Lebenserwartung. Und etwas anderes, ebenso Entscheidendes, ist starr: das Rentenalter. Das ist ein Konstruktionsfehler. Bleibt das Rentenalter weiterhin unangetastet, wird jedes zusätzliche Jahr Lebenserwartung zu einem zusätzlichen Jahr Freizeit – bezahlt durch die nächste Generation. Das ist unhaltbar!

Merkblatt

Checkliste für die Planung Ihrer Pensionierung

Das Merkblatt beschreibt die wichtigsten Punkte, die Sie bei der Planung Ihrer Pensionierung berücksichtigen sollten.

Politisch hat das Thema einen schweren Stand.

Das ist leider so. Für Politikerinnen und Politiker ist es sehr unpopulär, daran zu rühren. Darum gibt es nur Minireformen, die kaum etwas verändern. Eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters und die Anpassung an die Lebenserwartung würden den Konstruktionsfehler beheben.

Warum ist das so?

Weil wir länger Beiträge einzahlen und dieses Geld später beziehen. Das würde auch die Probleme der Pensionskassen entschärfen. Solange das Rentenalter starr bleibt, müssen wir den Umwandlungssatz immer weiter senken – die Renten nehmen laufend ab. Mit der Erhöhung des Rentenalters können wir weitere drastische Rentenkürzungen abwenden.

Das fixe Pensionierungsalter hat aber auch Vorteile: Es gibt ein klares Ziel im Leben vor, und man weiss genau, wie viel Rente danach fliesst …

Das starre Rentenalter wird immer mehr zum Auslaufmodell. Flexible Modelle entsprechen den Bedürfnissen vieler Schweizerinnen und Schweizer besser. Zur Budgetsicherheit: Das Argument greift nicht. Volle Budgetsicherheit haben wir auch, wenn wir länger erwerbstätig bleiben. Wer Budgetsicherheit wünscht, muss erkennen: Nur wenn wir das Rentenalter erhöhen, sind unsere Renten langfristig noch wirklich sicher.

Zur Person

Aymo Brunetti, 56 Jahre, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern. Zuvor arbeitete er im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), wo er zuletzt die Direktion für Wirtschaftspolitik leitete.