Pensionierung

"Babyboomer erfinden das Alter neu"

Die geburtenstarke Generation der Nachkriegszeit geht mit einem neuen Selbstverständnis in Pension, sagt die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello, emeritierte Professorin der Universität Bern.

Frau Perrig-Chiello, was ist Ihre Meinung als Forscherin: Ab wann soll man an seine Pensionierung denken?

Am besten schon zwischen 40 und 50. Der Lebensstil in diesen Jahren ist entscheidend. Und freuen Sie sich darauf: Den meisten geht es nach der Pensionierung ziemlich gut!

Wie meinen Sie das?

Studien zeigen, dass das Wohlbefinden einen u-förmigen Verlauf hat: In jungen Jahren ist die Lebenszufriedenheit hoch, in den mittleren Jahren nimmt sie aber ab. Kinder, Job, Trennungen – in dieser Zeit ist der Stress mit den vielen beruflichen und privaten Rollen gross. Mit zunehmendem Alter steigt die Kurve wieder. Das überrascht nicht.

Merkblatt

Checkliste für die Planung Ihrer Pensionierung

Das Merkblatt beschreibt die wichtigsten Punkte, die Sie bei der Planung Ihrer Pensionierung berücksichtigen sollten.

Warum ist das keine Überraschung?

Mit der Lebenserfahrung nimmt auch die Gelassenheit zu. Zudem haben Babyboomer das Alter neu erfunden. Mit ihnen geht eine Generation in Rente, die gesünder und jünger ist als jede zuvor. Noch vor hundert Jahren betrug die durchschnittliche Lebenserwartung keine 50 Jahre, 60-Jährige galten als Greise. Heute sind die 60- bis 75-Jährigen "junge Alte".

Woran zeigt sich das?

Babyboomer gehen selbstbewusster und kritischer ins Alter als frühere Generationen. Ein Beispiel? Viele zeigen Produkten die kalter Schulter, die penetrant auf jugendlich gemacht sind oder sich Best Agern plump anbiedern. Bei uns sind viele materiell abgesichert, einigermassen gesund und bereit, Neues anzufangen. Weil sie so zahlreich sind, haben sie politisch ein Gewicht, und mit ihrer Kaufkraft haben sie wirtschaftlichen Einfluss.

Wie gehen "junge Alte" in Pension?

Forschungsresultate legen vier Grundmuster nahe. Rund jeder Fünfte arbeitet weiter. Das sind gut ausgebildete oder selbstständige Leute. Und auch viele, die finanziell darauf angewiesen sind – vor allem Frauen. Eine weitere Gruppe hört ganz auf, weil sie körperlich hart gearbeitet hat. Dann gibt es jene, die ein neues Betätigungsfeld suchen und sich sozial engagieren, zum Beispiel in Vereinen. In der Schweiz leisten die 65- bis 75-Jährigen am meisten informelle Freiwilligenarbeit. Eine weitere Gruppe will Dinge nachholen, die während der Berufstätigkeit zu kurz gekommen sind: Familie, Reisen, Neues ausprobieren.

Ist ein starres Pensionierungsalter angesichts dieser Vielfalt sinnvoll?

Altersgrenzen haben in unserer Gesellschaft an Bedeutung verloren. Darum scheint mir ein gleitendes Rentenalter sinnvoll. Für einige kann es gut sein, ihr Pensum früher zu reduzieren. Weil wir aber länger in guter Gesundheit leben, dürfte die Mehrheit künftig länger arbeiten können, wollen – oder müssen.

Zur Person

Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello ist 67 Jahre alt. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und ein Enkelkind. Die Entwicklungspsychologin und Psychotherapeutin war von 2003 bis 2016 Honorarprofessorin an der Universität Bern. Dort ist sie noch heute als Präsidentin der Seniorenuniversität tätig.